Montag, 9.12.2024, 16.50-18.20, Raum N.316 | Monday, 9 December 2024, room N.316
Odesa's City Myth Rethought and Reframed: Ukrainian Black Sea Narratives, Multidirectional Memory, and the Challenges of Decolonization
Few cities can rival Odesa in the richness and diversity of its cultural legacy. An oft-mythologized image of the city, derived primarily from early twentieth century Russian-language writings, trickled into a stereotypical version exploited for decades by Soviet and Russian post-Soviet mass culture. However, this outdated cliché narrative obscures many facets of the city’s cultural diversity both past and present. The Black Sea is at the center of both the Soviet-era myth and the enduring stereotypes about the city, on the one hand, and of revisionist decolonial and multidirectional memory narratives, on the other. For the former, Odesa’s nickname “a pearl by the Black Sea” stands for the colorful smugglers and petty criminals, the fishmongers at the city’s abundant markets, and beachside entertainment. For the latter, Odesa is a fascinating heterotopia that arises at the liminal point linking the Black Sea with the “sea” of the steppe grasslands alongside its northern coast. At the center of my inquiry are the contemporary Odesa-focused multidirectional memory projects pursued, among others, by the writer Ivan Kozlenko, the philosopher and art curator Oksana Dovgopolova, the poet Boris Khersonsky, and the visual artist Oleksandr Roitburd, as well as the new impulse by local intellectuals to decolonize the Odesa narrative since February 2022, in the context of Russia's full-scale invasion of Ukraine.
Mythos Odesa, neu gedacht: ukrainische Schwarzmeer-Narrative, multidirektionale Erinnerung und die Herausforderungen der Dekolonisierung
Nur wenige Städte können es in Bezug auf den Reichtum und die Vielfalt ihres kulturellen Erbes mit Odesa aufnehmen. Ein oft mythologisiertes Bild der Stadt, das hauptsächlich aus russischsprachigen Schriften des frühen 20. Jahrhunderts stammt, schlug sich in einer stereotypen Erzählung nieder, die jahrzehntelang von der sowjetischen und postsowjetischen russischen Massenkultur ausgenutzt wurde. Dieses veraltete Klischee verschleiert jedoch viele Facetten der kulturellen Vielfalt der Stadt in Vergangenheit und Gegenwart. Das Schwarze Meer steht im Mittelpunkt sowohl des sowjetischen Mythos und der bis heute bestehenden Stereotypen über die Stadt als auch der revisionistischen dekolonialen und multidirektionalen Erinnerungserzählungen. Für die ersteren steht Odesas Spitzname „Perle am Schwarzen Meer“ für farbenfrohe Schmuggler und Kleinkriminelle, für die Fischhändler auf den üppigen Märkten der Stadt und die Unterhaltung am Strand. Für die letzteren ist Odesa eine faszinierende Heterotopie, die an der Schwelle zwischen dem Schwarzen Meer und dem „Meer“ der Steppe entlang der Nordküste entsteht. Im Mittelpunkt meiner Untersuchung stehen die zeitgenössischen, auf Odesa fokussierten, multidirektionalen Erinnerungsprojekte, die unter anderem die des Schriftstellers Ivan Koslenko, der Philosophin und Kunstkuratorin Oksana Dovgopolova, des Dichters Boris Chersonskij und des bildenden Künstlers Oleksandr Roitburd, sowie der neue Impuls lokaler Intellektueller, die Odesa-Erzählung seit Februar 2022 im Kontext der groß angelegten Invasion Russlands in der Ukraine zu dekolonisieren.