Studentische Konferenz "Unsere Forschung"

Sprache, Mehrsprachigkeit, Translation, Kultur, Geschichte, Gegenwart und Zukunft – das sind große und spannende Themen von Haus-, Bachelor- und Masterarbeiten, die unsere Studierenden im Fach Russisch schreiben. Eine ganzen Tag lang konnte man ihren Vorträgen lauschen – im Rahmen der extra dafür ausgetragenen studentischen Konferenz "Unsere Forschung", die zum ersten Mal im Sommersemester 2021 digital stattfand. Haben Sie den Termin verpast? Kein Problem! Wir starten heute eine Reihe von Publikationen, die Ihnen einen Einblick in die faszinierende Forschung unserer Studierenden geben werden.

Den Startschuss gibt heute Nino Kühne mit seiner Bachelorarbeit zum Thema „Zur Übersetzbarkeit von Anthroponymen (Personennamen) in literarischen Texten aus dem Russischen ins Deutsche“:

In meiner Bachelorarbeit setzte ich mich damit auseinander, wie übersetzbar Anthroponyme (Personennamen) in literarischen Texten sind. Man könnte vielleicht vermuten, dass Anthroponyme einfach unverändert in die Zielsprache übertragen werden können, weil sie eigentlich gar nichts bedeuten. Aber ist die Antwort auf die Frage, wie übersetzbar Anthroponyme denn sind, denn so einfach zu beantworten? Dazu schaue ich mir die semantischen Besonderheiten von Anthroponymen als Teil der Eigennamen an und untersuche, was sie sich genau von den Appellativen (Gattungsnamen) unterscheiden. Aus dieser Untersuchung geht hervor, dass Eigennamen keine Seme wie Appellative besitzen – man kann also keine Definition für einen Eigennamen liefern – dennoch bergen Eigennamen sehr wohl einen gewissen Bedeutungsgehalt in sich. Anthroponyme im Besonderen kreieren ein gewisses Bild vom/von der Namensträger:in: Mithilfe des Personennamens lässt der/die Namensträger:in sich ‚in Schubladen stecken‘. Im deutschen Sprachraum stehen gewisse Vornamen besonders eindeutig für gewisse Eigenschaften – mit einem Kevin oder einer Chantal würde man ein sozial schwaches Milieu assoziieren, ohne diese Person überhaupt zu kennen. Einen Gottfried oder eine Siglindewürde man einer älteren Generation zuordnen. Einen Ivan würde man im deutschen Sprachraum als fremd und russisch wahrnehmen. Wir bekommen also ein gewisses Bild von einer Person, ohne sie überhaupt zu kennen, und dass nur wegen des Namens, den sie trägt. Hinzu kommen noch die persönlichen Assoziationen, die wir mit Namen haben. Zwar sind diese mehr an den/die Namensträger:in gebunden als an das Anthroponym selbst, trotzdem ist Paul für den/die eine:n ein Freund, für jemand anderes vielleicht ‚nur‘ ein Kommilitone oder aber auch als Rivale. Anthroponyme sind also nichtnichtssagend, sie tragen aber auch keine Seme wie Appellative, anhand welche sie sich definieren lassen.

Aber was genau bedeutet das für die Übersetzung von Anthroponymen in literarischen Texten? Dazu sollte man sich die Funktionen, die Anthroponyme in einem literarischen erfüllen, anschauen. In meiner Arbeit konnte ich drei Funktionen herausarbeiten: Ersten, Anthroponyme charakterisier einen Charakter innerhalb einer Handlung, sie geben uns ein Bild von ihm. Zweitens, die Wahl des Anthroponyms eines Charakters – als Vorname, Kosename, Vor- und Vatersame oder doch Anredelexem mit Familiennamen – gibt uns einen Eindruck, in welchen Verhältnis der Charakter zur angeredeten Person steht. Denn in literarischen Texten werden Anthroponyme nicht einfach so verwendet, Autor:innen haben immer eine gewisse Absicht – sie wählen die Anthroponyme bewusst. Im Sprachepaar Russisch-Deutsch kann dies zu einem Übersetzungs­hindernis werden: Die Sprachen haben verschiedene anthroponymische Systeme; das Deutsche kennt keinen Vatersnamen – im Russischen kann man mit Suffixen eine Vielzahl von Vornamenableitungen bilden, mit der man in einer Sprechsituation eine bestimmte Gefühlslage äußern kann. Im Deutschen ist das in diesem Ausmaß nicht möglich. Hier sind also bereits viele Asymmetrien zu erkennen, die ein:e Übersetzer:in überwinden muss, um auch im Zieltext eindeutige Signale zu senden. Drittens, Anthroponyme dienen als Indikator für den zeitlichen, örtlichen und kulturellen Kontext, in der eine Handlung spielt – sie sind ‚Koordinaten‘. Anhand der Anthroponyme können wir also eine Handlung einordnen: Heißt die Protagonistin Anna Arkad’evna Karenina lässt der Text sich örtlich und kulturell einem russischen Kontext zuordnen – oder er wird zumindest als fremd und nicht der eigenen Kultur entsprechend wahrgenommen. Neben dieser Protagonistin gibt es beispielsweise einen Fürst Ščerbazkij – also eine adelige Person mit Fürstentitel. Seit der Russischen Revolution 1917 gibt es aber keinen Adel mehr in Russland, das heißt, die Handlung muss davor passiert sein – der Text ist zeitlich einordbar.

In einer Übersetzungsanalyse des Romans Anna Karenina von Lev Tolstoj untersuche ich die Übersetzungen von Arthur Luther (1924), Hermann Asemissen (1954) und die kommentierte Neuübersetzung von Rosemarie Tietze (2009). Dabei werden einzelne Textpassagen herausgesucht und geprüft, welches Übersetzungsverfahren die Übersetzer:innen gewählt haben, und ob die obengenannten Funktionen – Charakterisierung, Wirkung des Anthroponyms (Ton/ Anrede) und Indikator für zeitlichen, örtlichen und kulturellen Kontext – gewahrt wurden. Bei der Analyse geht es allerdings nicht darum, zu bewerten welche Übersetzung die beste ist, sondern nur darum, zu eruieren, wie sich die Übersetzungsentscheidung auf den Zieltext auswirkt. Hierzu ein paar interessante Textstellen:

Abbildung 1: Ein Beispiel für den Umgang mit russischen Kosenamen.

Abbildung 2: Ein Beispiel dafür, wie der Gebrauch eines Anthroponyms etwas über den Sprecher verrät. Der Sprecher vermeidet die anglisierten Anthroponyme Kitty und Dolly und benutzt stattdessen die russischen Varianten. Er äußert somit seine Abneigung gegenüber der Anglomanie zu der Zeit.

Abbildung 3: Ein Beispiel für den Umgang mit einem zu einem Appellativ gewordenen Anthroponym. Das Anthroponym referiert auf eine ganze Personengruppe.

Abbildung 4: Ein Beispiel dafür, wie eine kleine Änderung (Artikel oder Anredelexem) den Ton der Aussage verändern kann.

Abschließend lässt sich festhalten, dass sich Anthroponyme sehr wohl übersetzen lassen: Dennoch ist dies ganz abhängig von der Textstelle selbst – an machen Stellen lassen sich Anthroponyme eindeutiger aus dem Russischen in das Deutsche übertragen – sie senden also auch im Zieltext eindeutige Signale –, an anderen ist dies weniger möglich. Anmerkungen und Fußnoten können dabei auch zum Verdeutlichen von Signalen beitragen. Es ist also nicht richtig zu sagen, dass man Anthroponyme ‚einfach so‘ in die Zielsprache übernehmen kann. Es gibt viele Möglichkeiten, Anthroponyme zu übersetzen. Dabei können auch im Sprachenpaar Russisch-Deutsch bestehende Asymmetrien bezüglich der Bildung und des Gebrauchs von Anthroponymen überwunden werden – dies gelingt allerdings nicht immer.