Wir stellen euch weiterhin die Arbeiten der Studenten vor, die auf der ersten studentischen Konferenz "Unsere Forschung" am Fachbereich Russisch präsentiert wurden. Heute veröffentlichen wir den Beitrag "Manizhas "Russian Woman" - Ein Song für Russland?" von Sophie Röther, in dem sie eine Diskursanalyse russischer Online-Medien durchführt und auf die Frage antwortet, wofür wird die Sängerin Manizha in den russischen Medien kritisiert und wofür wird sie gelobt?
Manizhas „Russian Woman“ – Ein Song für Russland?
von Sophie Röther
Der Eurovision Song Contest ist ein Musikwettbewerb, der schon seit 1956 von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ausgerichtet wird. Mittlerweile sind 56 Länder teilnahmeberechtigt, darunter auch Russland. Für den ESC 2021 sollte zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder das Publikum entscheiden, wer zum Wettbewerb fahren darf. Zur Auswahl standen zwei Gruppen, Therr Maitz und #2Mashi, und Manizha, eine aus Tadschikistan stammende Sängerin, die mit drei Jahren mit ihrer Familie nach Moskau fliehen musste und dort aufwuchs. Manizha ist nicht nur Sängerin, sondern setzt sich auch für die LGBT-Community und als Botschafterin des guten Willens auch für Flüchtlinge ein. Sie gewann den Vorentscheid anhand der Publikumsabstimmung (mit 39,7% der Zuschauerstimmen) und durfte somit zum ESC nach Rotterdam fahren.
In ihrem Song „Russian Woman“ spricht die Künstlerin russische Frauen an und möchte sie ermutigen, indem sie singt:
Every Russian woman needs to know,
You're strong enough, you're gonna break the wall
(Jede russische Frau muss das wissen: Du bist stark genug, die Mauer zu durchbrechen).
Sie macht aber auch Beispiele dafür, was sich russische Frauen wohl in ihrem Alltag anhören müssen:
Тебе уж за тридцать, алло, где же дети?
Ты в целом красива, но вот похудеть бы
(Du bist schon dreißig, hallo, wo sind deine Kinder? Du bist ja ganz hübsch, aber du könntest noch etwas abnehmen).
Bei der Performance des Stückes kam Manizha in einem übergroßen, traditionell anmutenden Kleid auf die Bühne und stieg, während sie sang, aus diesem heraus. Für die restliche Performance trug sie einen roten Overall. Ihr Auftreten war voller Elan und energiegeladen. Die vier Hintergrundsänger:innen, die im Kreis um sie herum platziert waren, verstärkten den Eindruck, da sie selbst eher an Ort und Stelle blieben, während Manizha sich in ihrer Mitte bewegte und tanzte.
Mit ihrem Song zählte die Musikerin zwischenzeitlich zu den Favorit:innen und konnte sich schließlich auf den 9. Platz singen. Sie machte deutlich, dass sie wohl doch die richtige Wahl war, worüber sich die Gesellschaft zuerst erst ganz und gar nicht einig war. Diese Unzufriedenheit mit der Wahl Manizhas als Vertreterin Russlands wurde in den russischen Medien kontrovers diskutiert.
Die Fragen, die ich mir stellte, als ich von den unterschiedlichsten Positionen gegenüber Manizha las, waren zum Beispiel: Wie konnte es dazu kommen, dass ein einfacher Pop-Song für den ESC so kontrovers diskutiert wurde? Welche Diskurs-Themen kamen bei den Meinungsbekundungen zur Sprache? Gibt es möglicherweise Zusammenhänge zwischen der politischen Einstellung, der Religion, dem Alter, dem Geschlecht der Leserschaft und der Meinung, die ein russisches Medium in Bezug auf Manizha vertritt?
Aus diesen Fragen ergab sich dann meine Arbeitshypothese: Es werden vielfältige Diskursthemen angesprochen und die im jeweiligen Medium vertretene Einstellung hängt von den Eigenschaften der Leserschaft ab.
Als Beispiele für die sehr unterschiedlichen Meinungen folgen Zitate aus russischen Medien:
„Manizha singt falsche Töne und nicht im Rhythmus.“ (Kommentare unter Artikel in Komsomolskaja Prawda (KP))
„Der ESC ist doch nur ein Wettbewerb für Freaks.“ (Zitat aus einem Artikel der KP)
„Der Text stachelt zu ethnischem Hass auf!“ (aus offenem Brief)
Die Forschungsfrage, die der hypothetischen Hausarbeit als Grundlage dienen soll, lautet: Wofür wird die Sängerin Manizha in den russischen Medien kritisiert und wofür wird sie gelobt? Eine Diskursanalyse russischer Online-Medien.
Wie darin schon deutlich wird, stellen Veröffentlichungen russischer Online-Medien das zu untersuchende Material dar und die Methode, um diese zu untersuchen, wäre die Diskursanalyse.
Als Analysekriterien habe ich „Thema“, „Position“ und „Einordnung“ festgelegt. Bei der Einordnung soll unterschieden werden zwischen staatsnah/staatsfern, der politischen Ausrichtung und der Leserschaft. Um die Forschungsfrage beantworten zu können, musste eine Vorauswahl der zu untersuchenden Artikel getroffen werden, die im besten Fall ein breites Spektrum abdecken, sodass möglichst jede Meinung vertreten ist, sowohl staatsnahe, als auch von Staat unabhängige Medien untersucht werden und diese in ihrer politischen Ausrichtung unterschiedlich sind.
Begriffe, die in der Hausarbeit zu finden wäre, sind zum Beispiel Feminismus, Frauenbild, Homophobie und Xenophobie, Korruption, Talent und Image.
Erste Ergebnisse meiner Analyse habe ich in einer Tabelle zusammengefasst. Dort wird sichtbar, welche Diskursthemen in welchen Medien angesprochen wurden. Untersucht wurden bisher sieben Online-Zeitungen und Plattformen. Das Thema Korruption kam genauso oft vor wie das Thema Feminismus bzw. Frauenbild (in vier von sieben Medien). Das in diesen Medien am seltensten vorgekommene Thema ist das Thema LGBT-Community und Homophobie, dieses wurde nur einmal angesprochen.
Genauere Schlüsse darüber, ob Medien mit einer von ihren Eigenschaften her ähnlichen Leserschaft auch ähnliche Meinungen zu Manizha vertreten, konnte ich noch nicht ziehen. Im weiteren Verlauf der Vorbereitung bis zur Erstellung der Hausarbeit würde ich noch weitere Artikel lesen, um auch eventuell unterschiedliche Meinungen innerhalb desselben Mediums feststellen zu können. Es ist aber bereits erkennbar, dass es innerhalb der russischen Gesellschaft sehr unterschiedliche Haltungen zum Thema Feminismus und stereotypischen Rollenbildern gibt. Manizha ist womöglich nur Stellvertreterin für diese Diskursthemen und ein Anlass, sich darüber auszutauschen.